Bis dass der Tod Euch scheidet? Scheidung, Trennungen und was sie für die Alterssicherung der Menschen bedeuten
6. Oktober 2020
Mit Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld
Professorin für Soziologie an der Hertie School und Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Trennungs- und Scheidungsraten sind in Deutschland nach wie vor hoch – gut ein Drittel aller Ehen wird nach spätestens 25 Jahren wieder geschieden. Die meisten Studien zu den Konsequenzen von Trennung und Scheidung konzentrierten sich bislang aber fast ausnahmslos auf die Situation von Frauen. Welchen Einfluss hat eine Scheidung auf das sozialversicherungspflichtige Einkommen und auf die Alterssicherung von Männern? Verändern Männer ihr Erwerbsverhalten nach einer Scheidung? Wie wirkt sich der "Versorgungsausgleich" auf die Rente aus? Und sind solche familienpolitischen Instrumente angesichts sich verändernder Familienstrukturen in Deutschland überhaupt noch zeitgemäß?
Michaela Kreyenfeld stellte in ihrem Vortrag eine in Zusammenarbeit mit der Deutschen Rentenversicherung durchgeführte Studie vor, die die Rolle des Mannes stärker in den Blick nimmt. Die Studie wertet Daten der Deutschen Rentenversicherung aus, bei der etwa 90 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten registriert sind. Aus diesen Daten lassen sich Informationen zu Erwerbstätigkeit, Einkommen, Heirat, Trennung und Scheidung ablesen. Sie haben ein hohes Aussagepotenzial bei der Betrachtung von Scheidungsfolgen, da die Daten von Paaren vor und nach einer Trennung beobachtet werden können.
Aus diesen Datenanalysen ergibt sich, dass Scheidungen in den meisten beobachteten Fällen einen eindeutig negativen Einfluss auf das sozialversicherungspflichtige Einkommen von Männern haben. Der Blick auf die "Entgeltpunkte" verrät: Verheiratete Männer verdienen deutlich überdurchschnittlich; die Geschiedenen haben deutlich unterdurchschnittliche Entgeltpunkte.
Der im Zuge der Scheidungsreform 1977 verabschiedete "Versorgungsausgleich" wirkt sich erheblich auf die Rentenhöhe aus und reduziert diese bei Männern nach einer Scheidung durchschnittlich um zehn Prozent. Bei den dazu erhobenen Daten handelt es sich aber nur um erste Beobachtungen und vorerst deskriptive Verläufe, die es hinsichtlich ihrer Ursachen und Konsequenzen noch intensiv zu diskutieren gilt, auch im Lichte anderer wissenschaftlicher Disziplinen.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass in Zukunft auch Daten von Beamten und Selbständigen stärker für solche Forschungen herangezogen werden sollten. Außerdem wäre es wichtig, andere Lebensgemeinschaften als die traditionelle Ehe in die Betrachtung einzubeziehen, beispielsweise Paare, die sich trennen, aber niemals verheiratet waren. Angesichts der zunehmenden Diversität hinsichtlich der Formen von Partnerschaft und gemeinsamer Lebensgestaltung (mit und ohne Kinder) wird sich der Forschungsbedarf in Zukunft noch erhöhen. Das soziale Sicherungssystem sei dagegen immer noch zu stark auf die traditionelle eheliche Form der Familie fokussiert.
Um die negativen Folgen von Scheidung und Trennung zu bekämpfen, müsse man auch früher im Lebenslauf ansetzen. Eine traditionelle Arbeitsteilung während der Ehe kann ein wesentlicher Grund für Einkommensarmut und Transferabhängigkeit nach Trennung und Scheidung sein. An dieser Stelle müssten auch andere sozialpolitische Maßnahmen in den Blick genommen werden, die ein solches Modell unterstützen (wie etwa Steuerbefreiungen für Minijobs, das "Ehegattensplitting" oder die Mitversicherung der nicht-erwerbstätigen Ehefrau in der GKV).
"Wir haben in Deutschland einmalige Datenquellen. Dazu gehören nicht nur die groß angelegten Paneldatensätze, sondern auch Registerdaten, die ich in meinem Vortrag hervorgehoben habe. Diese Datensätze bilden eine solide Basis, um politikrelevante Ergebnisse zu generieren. In meinem Vortrag ging es um die Konsequenzen von Familiendiversität für Einkommen und Alterssicherung. Das ist ein Thema, das potentiell alle angeht. Das Online-Format 'Dienstagsdialoge des Förderfonds Wissenschaft in Berlin' ist ideal, um aktuelle Forschungsergebnisse mit gesellschaftlichen Akteuren zu diskutieren", fasst Michaela Kreyenfeld zusammen.