Dienstagsdialog des Förderfonds Wissenschaft in Berlin

Arm dran ist nicht gleich arm.
Was bedeutet soziale Ungleichheit im Kontext einer Krise?

5. Oktober 2021

 
Mit Prof. Dr. Philipp Lersch

Professor für Soziologie der Sozialpolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin und Senior Research Fellow des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin
 

Prof. Philipp Lersch eröffnet seinen Dienstagsdialog zur Bedeutung sozialer Ungleichheit im Kontext einer Krise mit der Vorstellung von drei zentralen Punkten. Erstens sei das Vermögen in Deutschland sehr ungleich verteilt. Zweitens sei die Vermögensungleichheit in Krisenzeiten besonders kritisch für die Lebenschancen der Menschen. Und drittens stehe derzeit noch nicht fest, welche Folgen die Coronapandemie für die Vermögensungleichheit innerhalb der Gesellschaft(en) zeigen werde.

Lersch erläutert, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland weit höher sei als die Einkommensungleichheit. Dabei seien die "Superreichen" in den vorliegenden Zahlen meist noch gar nicht erfasst. Wenn diese Gruppe zukünftig stärker in die Erhebungen einbezogen werde, ginge die "Zahlenschere" sogar noch weiter auf. Der Trend der Vermögensungleichheit gehe seit Ende des 19. Jahrhunderts zwar deutlich nach unten, verzeichne in den letzten Jahrzehnten aber einen erneuten Anstieg. Im internationalen Vergleich sei die Vermögensungleichheit in Deutschland extrem hoch. Länder wie die Slowakei, Polen oder Italien schnitten hier deutlich besser ab.

Vermögen lässt sich definieren als der Bestand an ökonomischen Gütern eines Individuums oder Haushalts abzüglich von Schulden und Verbindlichkeiten. Es gebe eine Reihe an Funktionen wie Macht, Status, Sicherheitsnetz und Nutzen, die hierdurch erfüllt werden. Lersch hebt die beiden letztgenannten hervor, da sie in der aktuellen Pandemielage für die Menschen eine besondere Bedeutung hätten. Nur wenigen Menschen sei es möglich, von ihrem Vermögen dauerhaft zu leben. Alleine das Wissen über ein gewisses Sicherheitsnetz könne aber Ängste und Unsicherheiten verringern und gleichzeitig das Wohlbefinden steigern. Wohneigentum gelte als nutzenstiftende Ressource, die das Wohlbefinden ebenfalls positiv beeinflusse könne.

Das abschließende Argument lautet, dass die Folgen der aktuellen Pandemie für die Vermögensungleichheit derzeit noch nicht abzuschätzen seien. Insgesamt sei die empirische Evidenz bislang recht wackelig, und die Vermögensentwicklung nach der Pandemie könne in zwei Richtungen ausschlagen: Es könne durchaus zu einem Anstieg, aber auch zu einem Sinken der Vermögensungleichheit kommen. Es werde sicher noch ein paar Jahre dauern, bis hier verlässliche Zahlen vorliegen. Die nächste Vermögensmessung im sozio-oekonomischen Panel liege erst im Jahr 2024. Die erhobenen Zahlen werden Aufschluss über viele Fragen und Unsicherheiten geben, und die Daten müssen für zukünftige Krisen nutzbar gemacht werden. 

"Es ist wichtig, die Hochvermögenden dauerhalft in die Erhebungen zum Vermögen einzubeziehen, da sie die Zahlen maßgeblich beeinflussen. Nur, wenn es uns gelingt, verlässliche Daten auch am oberen Ende der Vemögensverteilung zu erheben, können wir diese Krisensituation im Nachhinein besser beurteilen und sind auch für die Zukunft besser gewappnet", schließt Prof. Lersch.