Dienstagsdialog des Förderfonds Wissenschaft in Berlin

Elternschaft als Triebfeder von Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt?

2. November 2021

 
Mit Prof. Dr. Lena Hipp

Leiterin der Forschungsgruppe "Arbeit und Fürsorge" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Professorin in Sozialstrukturanalyse, insbesondere Arbeit und Organisation, an der Universität Potsdam, aktives Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina
 

Lena Hipp beleuchtet verschiedene Aspekte des Arbeitsmarktes und ihre Bedeutung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zeiten vor, während und nach der Pandemie. Einstieg in das Thema liefert der Gender Pay Gap, d.h. die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, im internationalen Vergleich. Hier steht Deutschland mit einer Gender Pay Gap von nach wie vor über 20 Prozent gemessen relativ schlecht da (Datenbasis EU-SILC, 2016/2019). Zum Vergleich: Die Gender Pay Gap für Polen oder Schweden liegt bei unter 15 Prozent. Die Gründe für diese Lohnlücke zwischen Männern und Frauen sind vielschichtig und reichen von Diskriminierung über Berufswahl von Männern und Frauen (insbesondere über die Selbstselektion in familienfreundliche Berufe und Arbeitgeber) bis hin zu Lücken in der Erwerbsbiographie und Teilzeitarbeit aufgrund von Sorgearbeit oder Kinderauszeiten. Die Rentenlücke zwischen den Geschlechtern ist dementsprechend für Deutschland mit 45 Prozent noch größer als die Lohnlücke (EU SILC 2016/2019).

Die Hauptschwerpunkte des Vortrags liegen auf dem Thema Diskriminierung, Erwerbsbeteiligung und Arbeitszeiten. Der möglichen Diskriminierung von Eltern auf dem Arbeitsmarkt gingen Hipp und ihr Team mit einem spannenden Feldexperiment nach. Frage war, ob bei gleicher Qualifikation und vollständiger Randomisierung der Lebensläufe Eltern signifikant seltener zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die familiäre Situation von Männern kaum einen Unterschied macht, ob sie für eine offene Stelle in Betracht gezogen werden, während Frauen mit Kindern deutlich seltener (minus 25 Prozent) zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden als kinderlose Frauen. Dies führt dazu, dass Mütter mehr Bewerbungen schreiben müssen, um sich bei einem Arbeitgeber vorstellen zu dürfen und sich in der Konsequenz möglicherweise für Stellen entscheiden, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen und in denen sie weniger Möglichkeiten zum beruflichen Aufstieg haben. Abhilfe könnte in dieser Situation eine Vorgabe zum Weglassen privater Informationen im Lebenslauf schaffen.

Im zweiten Teil des Vortrags werden die Erwerbsarbeitsvolumen von Männern und Frauen vor und nach der Geburt des ersten Kindes untersucht. Während Männer im Schnitt mehr als 40 Stunden arbeiten und es mit der Geburt eines Kindes kaum zu Veränderungen kommt, reduzieren Frauen mit der Geburt ihr Arbeitszeitvolumen im Schnitt auf zehn Stunden pro Woche im ersten Lebensjahr des Kindes und können sich auch in den folgenden fünf Jahren nicht von diesem Einschnitt erholen. Im europäischen Vergleich finden wir in Deutschland die größten Unterschiede im Arbeitszeitvolumen zwischen Müttern und Frauen ohne Kinder. Auch die Arbeitszeitdifferenz innerhalb der Paarbeziehungen ist in Deutschland am größten, und diese Lücke schließt sich nur sehr langsam. Mehr und bessere Kinderbetreuung für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein wichtiger Faktor.

Zum Abschluss beleuchtet Hipp die Geschlechterungleichheiten während und nach der Corona-Pandemie. Werden nach Corona mehr oder weniger Ungleichheiten die Zukunft unseres Arbeitsmarktes prägen? Für beide Hypothesen könnte man in theoretischen Überlegungen Argumente finden. Dennoch scheint Corona die Unterschiede in Deutschland eher noch zu verstärken. Frauen-dominierte Bereiche waren stärker von Einschränkungen betroffen, und wir finden gerade in Krisen eine Persistenz von Geschlechternormen. Obwohl auch Männer ihre Arbeitszeit reduziert und Betreuungsaufgaben übernommen haben, trifft dies auf Frauen in größerem Umfang zu. Diese Ergebnisse decken sich auch mit Studien aus anderen Ländern. Zwei Beispiele aus der Wissenschaftswelt bei einem Vergleich weiblicher und männlicher Autorenschaft und der Häufigkeit der Publizierung von Programmierungscodes runden den Eindruck ab, dass Frauen häufiger von den Corona-bedingten Einschränkungen betroffen waren und sind.

"Um Verbesserungen für Eltern, vor allem Mütter, auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, bedarf es eines umfassenden Umdenkens. Es gibt nicht die eine Maßnahme, um hier Veränderungen herbeizuführen. Politische Rahmenbedingungen, der Ausbau der Kinderbetreuung, aber auch die Veränderung der Mentalität von Arbeitgebern, Kollegen und der Gesellschaft müssen Hand in Hand gehen", sagt Lena Hipp.